Otto Thibault (Leipzig/Wahren 1910 – Schmorkau 1991)
Bowleservice mit sechs Bechern
Wurzen: Wurzener Werkhütte 1933/35
Ton, gedreht, gebrannt und glasiert
Pressmarke: OT und WW
Bowletopf H 22 cm, ⌀ 19 cm (oben), Becher H 8 cm, ⌀ 8 cm (oben)
Inv. Nr. V6131A
Bei dem Service handelt es sich um ein aus grauem Ton gedrehtes, gebranntes und außen seidenmatt braun und überwiegend deckend glasiertes Set aus einem Bowletopf mit Deckel, dessen Rand kragartig gestellt ist sowie sechs kleinen, leicht bauchigen Bechern mit Bandhenkeln. Alle Gefäße sind innen glänzend weiß glasiert. Der Knauf am Deckel ist geradförmig ausgebildet.
Hergestellt wurde das klassische Bowleset von Otto Thibault. Dieser arbeitete wohl zwischen 1933 und 1940 in Wurzen mit seiner ersten Frau, der Wurznerin Margarethe Thibault-Bily (geb. Leipzig 1902), einer Textilkünstlerin, und wohl auch Schmuckgestaltern in der sogenannten Wurzener Werkhütte zusammen. Alle waren Absolventen der Werkstätten der Staatlich-städtischen Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale). Thibault, dessen Vorfahren im 18. Jahrhundert Hugenotten waren, ging zunächst von 1925 bis 1928 bei dem Kunstkeramiker Kurt Feuerriegel als Keramikbildhauer in die Lehre und arbeitete in dieser Zeit am Töpferbrunnen von Kohren-Sahlis mit. Im Anschluss von 1926 bis 1928 besuchte er die Leipziger Städtische Schule für Kunstgewerbe, und von 1929 bis 1933 studierte er an der Meisterschule bei Marguerite Friedländer (Écully 1896 – Guerneville 1985; 1925–1933 Leiterin der Keramikklasse an der Burg), Frans Rudolf Wildenhain (Leipzig 1905 – Pittsford (New York) 1980) und Charles Chrodel (Marseille 1894 – München 1973) an der Burg Giebichenstein. Zuletzt war er Assistent beim Bildhauer Gerhard Marcks (Charlottenburg b. Berlin 1889 – Burgbrohl 1981). Friedländer und Wildenhain selbst waren Schüler der Dornburger Bauhaus-Werkstatt und setzten in Halle ihre Arbeit im Sinne des Bauhauses fort. Da Wildenhain nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zusammen mit seiner jüdischen Ehefrau Marguerite Friedländer in die Niederlande emigrierte, verließ Thibault die Hochschule ohne Abschluss.
Gewohnt hat das Ehepaar Thibault in Wurzen wohl in der Torgauer Straße 4 (Einwohnerbuch der Stadt Wurzen von 1935). Die Wurzener Werkhütte war 1938 auf der Kunstausstellung des Kreises Grimma im Wurzener Stadthaus vertreten. Otto Thibault war mit seinen Töpferwaren auch in Leipzig präsent und stellte auf vier Grassimessen aus. 1937/38 zunächst allein als Keramikwerkstatt Thibault, 1939/40 als Werkhütte Wurzen mit Töpferei und Handweberei. Der spätere Maler Johannes Pätzold, von dem das Kulturhistorische Museum zahlreiche Werke besitzt, besuchte Thibaults Zeichenkurs.
Da seine Wurzener Töpferwerkstatt am Domplatz im ehemaligen Streilschen Grundstück 1935 brannte, zog er zunächst in eine Werkstatt in der Dresdener Straße um, bevor er die alte Kottwitzsche Töpferei (heute Töpfermuseum) in Kohren-Salis pachtete, wo er bis 1939 gemeinsam mit seiner Frau eine Töpferei- und Handwebereiwerkstatt führte. Nach Kriegsende vertrat er 1946/47 Rudolf Rausch (1906–1988) als Werkstattleiter der Keramikfachklasse an der Burg Giebichenstein, danach ging er krankheitsbedingt wieder als selbstständiger Keramiker nach Kohren-Sahlis, gab diese Werkstatt aber 1948 auf. Von 1949 bis 1955 war er als Berufsausbilder in der Porzellanmanufaktur Meißen und den Tonwerken Brandis tätig. Von 1955 bis 1961 leitete er die Abteilung für Bildnerisches Volksschaffen am Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig. Nach verschiedenen Tätigkeiten in Halle (Bezirkskabinett für Kulturarbeit) und Leipzig (Kunsterzieher, Keramikatelier der Leipziger Genossenschaft Bildender Künstler) war er ab 1977 in Schmorkau/Oschatz zusammen in der Werkstatt mit seiner Tochter Gabriele, Dipl.-Formgestalterin und Absolventin der Burg Giebichenstein, als freischaffender Keramiker tätig.
Neben dem Bowleservice bewahrt das Kulturhistorische Museum weitere acht Keramiken von Thibault. Davon sind vier Vasen und eine Schale mit den Pressmarken von Thibault und der Wurzener Werkhütte gekennzeichnet. Sie eint ihre schlichte, an der Bauhaus-Tradition und den Arbeiten seiner Lehrer orientierte Formgebung. Interessant sind im Vergleich zur überwiegend deckenden Glasur des Services der Nuancenreichtum und die Lebendigkeit der lindgrünen Glasuren von zwei Vasen und einer Schale, bei denen die Farbe des Scherbens durchscheint oder mit Glasurspots gearbeitet wird.
Literatur:
Artikel „Thibault, Otto“, in: D. Eisold (Hrsg.), Lexikon der Künstler in der DDR, Berlin 2010, S. 949.
A. Dolgner (Hrsg.), Burg Giebichenstein: die Hallesche Kunstschule von den Anfängen bis zur Gegenwart. Staatliche Galerie Moritzburg, Halle 1993, S. 551.
H. Gerlach, Keramik aus dem Döllnitztal, in: Rundblick 1 (1981), S. 18-22.
K. Heider, Vom Kunstgewerbe zum Industriedesign. Die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale) von 1945 bis 1958, 2010, S. 62.